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Religiöses Wissen und interkulturelle Kompetenz

An dieser Stelle sei ein Beispiel aus diesem religiösen und interkulturellen Bereich ausgeführt. Ein übergroßer Besucherstrom, wie oben erwähnt, kann leicht zu einer Störung der Mitpatient*innen, des Personals und des Arbeitsablaufes auf der Station führen, nicht zuletzt auch zu einer Belastung des Patienten oder der Patientin selbst. Das bedeutet nicht, dass Krankenbesuche unterlassen werden sollen, jedoch ist Rücksichtnahme angezeigt. Der Krankenbesuch soll Anteilnahme, Beistand und Hilfe für die Erkrankte bzw. den Erkrankten sein und nicht zu einer Strapaze. Hier ist zu berücksichtigen, dass es für den Patienten eventuell körperlich anstrengend ist, wegen dem Besuch länger zu sitzen oder auch, dass Ruhe zur Genesung wichtig ist. 

Zu den muslimischen Tugenden eines Krankenbesuches gehört es, eine passende Zeit zu wählen, eventuell in Absprache und den Besuch nicht übermäßig auszudehnen. Die Gesprächsthemen sollen den Patienten nicht bekümmern, sondern das Ziel haben, zu trösten, aufzuheitern, Hoffnung zu geben. Erwünscht ist auch, dass Hilfe angeboten wird, vielleicht brauchen die Angehörigen Unterstützung, wenn es beispielsweise um Haushalt und Kinderbetreuung geht oder es gibt vielleicht die Möglichkeit, in einem finanziellen Engpass zu helfen. Solche oder ähnliche Aspekte der Hilfe sollte jede Besucherin bzw. jeder Besucher je nach Bedarf und eigenen Möglichkeiten bedenken. Auch tatkräftige Hilfe unterstützt so die Gesundung, indem der Kranke bei diesen zusätzlichen Sorgen eine Entlastung erfährt. 

Meistens wird von muslimischen Patient*innen erwartet, dass die Besuchenden Segenswünsche und Bittgebete spenden und sie oder ihn an die religiösen Ideale der Geduld und des Gottvertrauens erinnern. Dies ist eine wichtige seelsorgerliche Ressource, mit welcher auch die muslimischen Seelsorger*innen arbeiten können. Bei Themen, die religiös und kulturell unterschiedlich geboten sind, wie beispielsweise die Intensität der Krankenbesuche, die von den hiesigen abweichen können, können muslimische Seelsorger*innen mit ihrer Kenntnis der religiösen Regelungen und kulturellen Gepflogenheiten  zwischen Patient*in und Angehörigen, den Mitpatient*innen und/oder dem Pflegepersonal vermitteln. Oftmals wird in Krankenhäusern bei hohem Besuchsaufkommen um die Nutzung der Aufenthaltsräume gebeten, so dass einerseits Mitpatient*innen und Pflegepersonal nicht beeinträchtigt werden, die muslimischen Patient*innen aber dennoch durch die Besuche eine Anbindung an die Gemeinschaft haben. Dies zeugt von Respekt und interkultureller Kompetenz, denn es ist an dieser Stelle wichtig zu wissen, dass für viele muslimische Menschen das Erfahren von Gemeinschaft  eine wichtige Quelle für seelisches Wohlbefinden und damit für die Gesundwerdung ist. Die Familienbande und die Gemeinschaftsbeziehungen sind religiös und kulturell im Vergleich sehr eng. Eine Trennung von der Familie wie der Gemeinschaft wird oft als stark belastend erlebt. Auch das Religiöse ist nicht nur eine individuelle Beziehung zwischen der einzelnen Person und Gott, sondern es geht vor allem auch um eine Glaubenserfahrung in Verbundenheit mit anderen. Der Krankenbesuch ist einerseits für die Besucher*innen Teil ihrer islamischen Lebenspraxis, andererseits stellt er für die Besuchte bzw. den Besuchten ein Zeichen für die  Zugehörigkeit zur Gemeinschaft dar, die bzw. der Kranke erfährt Mitgefühl, Achtung und Anerkennung von seiner Familie und dem sozialen Umfeld.

In unterschiedlichen Problembereichen ist neben der religiösen die interkulturelle Kompetenz gefragt. Die Vorstellungen von Krankheit und Gesundheit beispielsweise können kulturspezifisch stark unterschiedlich sein. Es gibt volkstümliche Meinungen über bestimmte Behandlungsarten, die in der hiesigen medizinischen Versorgung kontraproduktiv sein können. Auch die Art, wie Beschwerden oder Schmerzen geäußert werden, kann divergent sein. Kulturbedingt kann es sein, dass Schmerzen traditionell durch lautes Klagen oder insbesondere bei Frauen zusätzlich durch Weinen zum Ausdruck gebracht werden. Fehlt das interkulturelle Wissen, kann ein solches Verhalten schnell als besonders wehleidig oder sogar hysterisch eingestuft werden, was leicht auf Unverständnis stoßen und zur Entstehung von Vorurteilen führen kann. Die Patient*innen fühlen sich in diesem Fall mit ihren Beschwerden nicht ernst genommen.

 

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