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Migrationshintergrund, religiöse Grundsätze und Werte

Für die muslimische Bevölkerung der älteren Jahrgänge ist gegenwärtig für die Mehrheit von einem Migrationshintergrund auszugehen. Die weitaus meisten muslimischen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland sind türkischer Herkunft. Geflüchtet vorm Krieg in ihren Heimatländern leben mittlerweile auch sehr viele muslimische Menschen aus Syrien, Afghanistan, Irak, Kosovo und Bosnien-Herzegowina in unserem Land. Auch viele Muslim*innen aus afrikanischen Ländern, wie z.B. Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten, Somalia, Sudan und Eritrea haben ihre Heimat hier gefunden.

Der Migrationshintergrund sowie die religiösen Grundsätze und Werte der muslimischen Bürger*innen hinsichtlich des Umgangs mit den eigenen älter werdenden Eltern sowie älteren Menschen allgemein sind zwei entscheidende, ganz spezifische Besonderheiten und die einzelne Person fundamental prägende  Aspekte  im Kontext der Seelsorge für muslimische Menschen.

„Und dein Erhalter hat bestimmt, dass ihr nur Ihm dienen und zu den Eltern gütig sein sollt. Wenn nun einer von ihnen oder beide in deiner Fürsorge ein hohes Alter erreichen, dann sage niemals ‚Bah!‘ zu ihnen und fahre sie nicht an, sondern sag zu ihnen ehrerbietige Worte und breite aus Barmherzigkeit den Flügel der Demut über sie und sag:

‚Mein Erhalter, erbarme Dich ihrer ebenso wie sie mich aufgezogen haben als ich klein war.'"(Qur´an 17:23-24)

Dieser Vers kann als theologische Grundlage der islamischen Altersseelsorge angesehen werden. 

Vor diesem Hintergrund galt und gilt es in islamisch geprägten Gesellschaften wie auch in den vereinzelten muslimischen Familien in unserem Land als verpönt, zuzulassen oder zu arrangieren, dass Mutter oder Vater in einem institutionellen Altersheim untergebracht wird. In den meisten islamisch geprägten Gesellschaften ist die Möglichkeit einer Versorgung der Älteren in einem Altersheim noch nicht einmal gegeben, so selbstverständlich ist die Versorgung und Pflege in der Familie. Die einzelnen Familienmitglieder können dies mit ihrem Selbstverständnis als Muslim*innen mit dem religiös sehr hoch eingeforderten Respekt den Eltern gegenüber nicht vereinbaren. Sie machen sich große Selbstvorwürfe, wenn sie merken, dass dies eine Möglichkeit in ihrer Lebenssituation wäre, da sie schlichtweg überfordert sind. Der ältere Mensch, um den es jeweils geht, fühlt sich als Last und nicht mehr als Familienmitglied erwünscht. Auch von Außenstehenden will niemand sich vorwerfen lassen, Mutter oder Vater in ein Altersheim „abgeschoben“ zu haben. Dies ist für alle Beteiligten eine sehr belastende Situation. Jedoch ist eine einschneidende Veränderung der Lebensverhältnisse und Familienstrukturen zu verzeichnen. Durch Migration und vermehrt auch durch Flucht und damit verbundener Trennung von Familie und Verwandtschaft, gibt es mehr alleinlebende Menschen und vor allem kleine Familie, Kernfamilien, lediglich bestehend aus Eltern und Kindern. Dies ist für unsere Gesellschaft schon länger kennzeichnend, für Menschen aus islamisch geprägten Gesellschaften ist dies untypisch und wie ein Herausriss aus den üblichen, bestehenden Familienstrukturen mit ihrer Aufgabenteilung und ihren Auffangressourcen. Daneben gibt es auch die bewusste Entscheidung für ein anderes Lebenskonzept. Jüngere Generationen verwirklichen ihre eigenen Lebensvorstellungen in Orientierung an der Gesellschaft, in der sie leben. Insbesondere muslimische Frauen entscheiden sich verstärkt für eine höhere Bildung und Berufstätigkeit. Dies hat zur Folge, dass sich weitläufig die Familienstrukturen, die eine Versorgung und Verpflegung der älteren Familienmitglieder gewährleisten, auflösen, waren und sind doch Fürsorge und Pflege, wie in allen Kulturen, vornehmlich Aufgabe der Frauen. Durch veränderte Familienstrukturen ist dies oft nicht weiter durchzuhalten. Insbesondere die pflegenden Frauen stoßen an ihre gesundheitlichen und psychisch-moralischen Grenzen. Dies fordert von allen Beteiligten einen Prozess des Umdenkens und Umstellens. Diese Umstellung, ohne die religiösen Grundwerte zu verletzen, ist eine Herausforderung für uns heute und für die Zukunft. Hier ist eine seelsorgerliche Begleitung des älteren Menschen und der pflegenden Familienangehörigen geboten, eine sensible religiöse Aufklärung darüber, dass es religiös gesehen keine Sünde ist, das pflegebedürftige Familienmitglied in professionelle Pflege zu geben, und das es auch kein sich entledigen eines Familienmitgliedes ist. Dies geschieht am besten durch Seelsorger*innen, die den gleichen religiösen Hintergrund haben. 

Nicht alle Musliminnen und Muslime in unserem Land haben Migrationshintergrund. Es gibt auch deutsche muslimische Familien, wenn auch in der Minderheit. Auch diese Familien orientieren sich selbstverständlich am gleichen islamischen Grundwert des Respektes und der Fürsorge den Eltern und älteren Menschen gegenüber. Die Frage ist, inwiefern dies im Rahmen einer Kleinfamilie und mit Berufstätigkeit von Mann und Frau konkret umsetzbar ist bzw. welche alternativen Angebote oder Ergänzungsangebote es gibt, welche  Gestaltungsmöglichkeiten auf diesem Wege sich auftun. Islamische Seelsorger*innen sind sich diesen Umständen, die innere Konflikte mit sich bringen, bewusst und geschult, diese einfühlsam und religiös fundiert zu begleiten.

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